Warum jammern?
Wer gerne jammert, findet dazu immer einen Grund. Schließlich leben wir nicht im Paradies und es gibt eben die Dinge, die uns das Leben schwer machen.
Wenn dir das Wasser bis zum Hals steht, lass bloß den Kopf nicht hängen!
Aber wir müssen uns ja nicht ausschließlich mit den negativen Dingen beschäftigen. Die Folgen so einer einseitigen Blickweise sind ja allgemein bekannt. Also klopft mir mancher auf die Schulter: "Positiv denken!" sagt man und "Bloß den Kopf nicht hängen lassen."
Als Christ möchte ich Gott nicht nur vorjammern, was mir gerade nicht passt und wo ich ihn gerade brauche. Sondern ich möchte auch danken für das Gute, das er mir schenkt. Die Bibel geht allerdings noch einen Schritt weiter: "Dankt Gott, dem Vater, allezeit für alles, im Namen unseres Herrn Jesus Christus" (Eph 5,20). Aber das nur am Rande. Jedenfalls: das Gute und Schöne sehen ist in vieler Hinsicht heilsam!
Auf dem Markt
Neulich war ich mit dem Fahrrad auf dem Markt! Was selbstverständlich klingt, ist es für mich gar nicht so sehr. Dass ich die Kraft zu so einem Ausflug habe. Mit dem Fahrrad sogar; hinwärts ist das ja nicht so das Problem, aber rückwärts muss ich den Kappellenberg wieder hochkommen. Aber das geht wieder! Und zuhause bin ich nicht gleich bettreif zusammengebrochen, sondern konnte noch essen und die Wäsche aufhängen.
Und mehr noch — ich denke mal, Ihr seid alle informiert, was in unserer Welt so läuft —: Auf dem Markt gab es allerlei leckere Sachen zu vernünftigen Preisen. Mit etwas Geduld findet man auch den günstigsten Anbieter. Ich muss auch nicht schlangestehen oder vor dem Frühstück aufstehen, um überhaupt noch etwas zu bekommen.
Der Markt wurde nicht mit Raketen beschossen. Mein Blick schweifte nicht ständig umher, ob nicht gerade ein Selbstmordattentäter kommt.
In meinem Geldbeutel war genug Geld, um alles zu bezahlen. Ich musste weder mit Lebensmittelkarten hantieren noch mir das Geld vorher zusammenbetteln. Ich bin nicht reich, und die deutsche Bürokratie macht manchen Ärger. Aber ich darf in einem Staat leben, wo Krebskranke nicht einfach ihrem Schicksal ausgesetzt werden.
Eine Welle der Solidarität
An Gott zu glauben, wirft viele Fragen auf — aber es beantwortet die wichtigsten.
Ich könnte noch viele schöne Dinge in meinem Leben aufzählen. Die Bibel ruft mir indessen zu:
"Wir wissen, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen" (Röm 8,27). Paulus, der diesen Satz geschrieben hat, spricht in diesem Kapitel gerade auch von den widrigen Seiten des Lebens.
Also stellt sich einem gläubigen Krebspatienten durchaus die Frage, wie ihm diese Krankheit etwas Gutes bringen, ja sogar zum Besten mitwirken soll (so wörtlich übersetzt). Ihr seht, dass Gläubige es sich gerne etwas einfach machen, ist ein Vorurteil. Oft gibt uns unser Glaube auch einige Nüsse zu knacken; aber schließlich sind Nüsse besonders nahrhaft.
Leben — was das heißt, beginnen wir oft erst zu entdecken, wenn wir dem Tod ins Auge sehen.
Also hier, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, ein paar Dinge, die sich durch den Krebs zum Besseren gewendet haben:
- Auch wenn ich vorher kein oberflächlicher Mensch war: aber ich sehe nun vieles anders und lebe bewusster — wie Ihr an diesen Seiten seht. Ich werde dankbar für die kleinen Dinge und freue mich an dem, was ich bislang Schönes erleben durfte.
- Die wichtigste Beziehung, die ein Mensch haben kann, ist die zu seinem Schöpfer. Meine hat ist noch einmal intensiver geworden. Geht es uns gut, gehört Gott oft zu den Personen, die man zwar schätzt, aber zu denen man keinen engeren Kontakt pflegt (wie Zahnarzt, Klempner, Anwalt). Die kleinen und großen Nöte meines Krebs-Alltags jedoch sorgen dafür, dass ich bewusster bete und bewusster wahrnehme, wer Gott ist. Ähnlich geht es auch meiner Frau Charlotte.
- Unser Eheleben hat sich wesentlich verbessert. Lieb hatten wir uns ja die ganze Zeit. Aber die Krankheit hat uns fester aneinander geschweißt. Wie oft hatten wir vorher unsere gemeinsame Zeit mit belanglosen Streitigkeiten vergeudet! Auch jetzt gibt es zwar noch manche Krise, denn wir bleiben halt Menschen mit ihren Ecken und Kanten. Aber es ist anders als vorher.
Für meine beiden Söhne habe und nehme ich mir auch mehr Zeit. Ich bin ihr Vater und will ihnen mitgeben, was ein guter Vater eben seinen Kindern ins Leben mitgeben soll. (Denke mal kurz darüber nach, was das für Dich ist.) Ich weiß eben nicht, ob ich dazu noch Gelegenheit habe, wenn sie groß sind.
Eigentlich wussten wir es schon immer, das heute der wichtigste Tag ist. Aber meistens leben wir anders.
- Ich bin immer noch überwältigt, wie viele Menschen sich mit mir verbunden fühlen. Die nach mir fragen, mich besuchen, für mich beten und Hilfe anbieten. Längst erblasste Kontakte leben wieder auf. Verwandtschaftliche Beziehungen intensivieren sich. Ich schaffe gar nicht, jeden Brief und jeden Gruß zu beantworten — ich bitte um Euer Verständnis.
Christen, denen ich auf dem Herzen liege, tragen dies im Gebet zu Gott. Sie nehmen das Anliegen mit in ihre Gebetskreise. Es sind sicherlich über 1000 Menschen, quer durch Deutschland, die für mich beten. Viele davon kenne ich gar nicht persönlich.
Das alles hätte ich nie gedacht! In meinem Beruf war ich oft der, der vorne steht. Das ist nun vorbei. Aber es ist großartig, so von Freunden beachtet und wertgeschätzt zu werden. Es berührt mich tief. Danke!
Auf der Reise
Aber, könnte man einwenden, da ist doch immer noch der Krebs, diese gemeine und tödliche Krankheit. Da muss es dir doch schlecht gehen!
Mir geht es aber nicht viel schlechter als anderen. Wir sind nämlich alle auf der Reise. Das Leben endet grundsätzlich tödlich. Beim einen halt eher, beim anderen später. Und der Abschied tut immer weh.
Wir fahren alle auf der gleichen Schiene. Der eine im Bummelzug, der andere im Schnellzug. Irgendwann aber erreichen wir alle dieselbe Station "Tod".
Wie geht es dann weiter? Kannst Du dort umsteigen? Hast Du ein Ticket dafür?

Jesus gibt Dir ein Ticket. Oder soll ich besser gleich sagen, er ist die Lok, die den Zug zum ewigen Leben zieht? Wir müssen uns nur an ihn dranhängen. Jesus selbst hat es natürlich etwas anders formuliert (logisch, gab ja noch keine Eisenbahn):
"Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, selbst wenn er stirbt." (Joh 11,25).
Ich bin also auf der Reise. Ausgangspunkt ist ein Ort, an dem es viel Elend und Ärger gibt. Den Umsteigebahnhof "Tod" würde ich am liebsten auslassen, denn dort heißt es Abschied nehmen von den Lieben. Aber das Ziel ist ein Ort, wo es kein Elend, keinen Ärger, keinen Krieg und keinen Krebs gibt. Warum sollte ich also jammern, wenn ich auf dieser Reise nun womöglich etwas schneller unterwegs bin?
Für mich gilt: Leben ist Christus und Sterben Gewinn (Phil 1,21).
Glaube ist ein Geschenk
Vielleicht sagst Du jetzt: Schön für Dich, ich würde ja auch so gerne glauben, aber ich kann es nicht. Da stimme ich Dir zu. Du kannst nicht von Dir aus glauben.
Ich übrigens auch nicht. Das habe ich im Krankenhaus gemerkt. Wenn einen die Lebenskräfte so nach und nach verlassen, dann verlässt einen auch der selbstgemachte Glaube. Menschen können ja immer so einiges simulieren, auch Zuversicht, Optimismus und Glaube. Damit ist aber Schluss, wenn es ernst wird.
Aber da gibt es noch einen anderen Glauben in mir, der nicht selbstgemacht ist. Den Glauben, den Gott mir durch seinen Heiligen Geist geschenkt hat und jeden Tag neu schenken muss. So wurde mir klar: ich sterbe, aber der Heilige Geist in mir stirbt nicht. Mein Glaube zerbricht, aber der Heilige Geist in mir zweifelt nicht. Ich kann vielleicht nicht mehr beten, aber der Heilige Geist in mir hält die Verbindung.
Glaube ist ein Geschenk. Geschenke kann man sich nicht selber holen. Aber man kann um sie bitten. Gott jedenfalls wartet darauf, dass wir ihn bitten, uns den Glauben zu schenken!